Kann man auch Künstler werden, ohne naturgetreu zeichnen zu können?
Auch an außerschulischen Lernorten in individuellem Tempo lernen zu können, das ist einer der Vorteile der Digitalisierung. Ein digitales Endgerät ermöglicht es so beispielsweise, ganz neue Formen des Standrundgangs zu erleben: Vorbei sind die Zeiten, wo man einem Reiseführer lauschen musste, der monoton langweilige Jahreszahlen vortrug. Stattdessen gab es im schönen Bamberg vielfältige – und manchmal auch ungewöhnliche – Orte zu entdecken, die Bezüge zur Kunst aufweisen.
Wir begannen aber zunächst mit einer Runde Frühsport, mussten wir doch vom Bahnhof in die Innenstadt laufen. Dabei dauerte es nur wenige Minuten, bis die ersten Beschwerden über das zügige Tempo der Lehrkräfte laut wurden (vielleicht wäre ein Hütehund als Schulhund doch die bessere Wahl gewesen?). Auf dem Weg zum Maxplatz machten wir Station an einem Ort, genauer gesagt, einem stillen Örtchen, das man wohl eher nicht mit Kunst in Verbindung bringt: der öffentlichen Toilette am ZOB. Tatsächlich ist das ein Gebäudetyp, der erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit dem Anwachsen der (Groß)städte entstanden ist. Das Bamberger Klohäuschen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts im Jugendstil erbaut und weist deutliche Merkmale dieser formschönen Epoche mit ihren floralen Ornamenten und runden Formen auf.
Nach einer kleinen Zeichenübung auf dem Maxplatz statteten wir der Stadtpfarrkirche St. Martin einen kurzen Besuch ab. Außen zwar wuchtig, aber eher zurückhaltend gestaltet, überrascht der Innenraum in typisch barocker Manier mit einer Vielzahl an Details, Schmuck und hochwertig wirkenden Materialien wie Vergoldungen und Stuck (der aussieht wie Marmor). Besonders bewunderten wir das sogenannten Trompe l’œil, das „Augentäuscher-Bild“, das an der Decke eine dreidimensionale Kuppel vortäuscht.
Nach diesem Boxenstopp fielen wir mit 35 Mann (bzw. Frau?) in den Laden Comixart ein. Dort wurden wir bereits zu einem Vortrag über Comics erwartet, was einen Anknüpfungspunkt an den Lehrplan der siebten Klasse darstellte. Kurzweilig erläuterte Herr Zauner den Entstehungsprozess von Comics – dass es beispielsweise im Regelfall extra Koloristen gibt, die die schwarz-weißen Zeichnungen farbig gestalten und die Comics somit nicht aus der Hand eines Künstlers stammen – ebenso wie die unterschiedlichen Zeichenstile. Denn ein großer Reiz von Comics ist neben der thematischen auch ihre gestalterische Vielfalt: Von ultra-naturalistischen Zeichnungen bis hin zu einfachen Pünktchen für Menschen ist alles vertreten.
Danach stand das Kontrastprogramm auf dem Plan: Nach einem kurzen Hinweis auf eine aktuelle Kunstausstellung im Dom, bei der die Künstlerin Elke Maier mit 10.000 feinsten, je nach Lichteinfall reflektierenden Fäden eine Installation um das Kaisergrab geschaffen hat, starteten wir am Dom unsere digitale Schnitzeljagd.
Mit Hilfe des Handys und der App „Actionbound“ erkundeten wir den mittelalterlichen Dom von innen und außen, fanden mancherlei Getier – von den Domkröten bis zu den Domkühen – und stellten fest, dass die Menschen zur Zeit von Romanik und Gotik wirklich klein waren. Nachdem wir uns ausführlich mit den Stadtgründern Heinrich und Kunigunde sowie deren Liebesgeschichte befasst hatten, ging es weiter zur Alten Hofhaltung mit ihrer hübschen Renaissance-Pforte, die die regionalen Flüsse zeigt und in der bereits für die Calderon-Festspiele des Theaters geprobt wurde. Den chronologischen Endpunkt am Domplatz bildete der Abstecher zur Neuen Residenz des berühmten Bamberger Architekten Dientzenhofer, deren Rosengarten betörend duftete und wo wir einen typischen barocken Garten – streng geometrisch angeordnet – mit den weiten, naturnah wirkenden Landschaften des Hains als Vertreter eines Englischen Gartens vergleichen konnten.
Damit aber noch nicht genug: Weiter ging es zum Böttingerhaus, einem auf Repräsentation ausgerichteten Stadthauses einen hohen Beamten des Fürstbischofs. Äußerlich stark verziert ruft das Haus so manches „Ooooh“ und „Aaaaah“ von Touristen und Hochzeitsgesellschaften hervor, doch darin zu leben, war unpraktisch. So ließen sich die Zimmer nur vom unbeheizten Treppenhaus aus betreten.
Die vorletzte Station unserer Exkursion war das Alte Rathaus, dass zur Zeit des Barocks seine Fassadenbemalung erhielt. Wer wohl als Erstes das herausragende Bein des Engelchens finden würde? Vom Barock ging es weiter zu aktueller Kunst, genauer: dem „Reverse Graffiti“ an der Unteren Brücke, das mittlerweile – ganz im Sinne des Künstlers – nur noch schlecht zu sehen ist. Mit einem Hochdruckreiniger legt Klaus Dauven mittels Schablonen die saubere Wand wieder frei, sodass ein Bild entsteht, welches mit zunehmender Schmutzablagerung nach und nach wieder verschwindet.
Wir beendeten unseren Ritt durch die Kunstgeschichte am Schönleinsplatz bei „The Meeting“ von Wang Shugang. Ein lustiges Fotomotiv war es wohl, doch die divergenten, individuelleren Hasen zur Osterzeit hätten wir lieber gesehen!
So endete ein Tag mit vielfältigen Kunst-Eindrücken und der tröstenden Gewissheit, dass man auch dann ein erfolgreicher Künstler und Autor werden kann, wenn man nur Punkte zeichnen kann. 😉
– Kirsten Christiansen